IGEL - Inklusion Ganz Einfach Leben

Sascha Lang - Inklusator
Since 04/2021 278 Episoden

Demokratie braucht Inklusion – dritte Amtszeit des Bundesbehindertenbeauftragten Jürgen Dusel

Ein Interview mit Jürgen Dusel dem Bundesbehindertenbeauftragten

16.07.2025 26 min

Zusammenfassung & Show Notes

Demokratie braucht Inklusion – dritte Amtszeit des Bundesbehindertenbeauftragten Jürgen Dusel
 

 
Episode 273

 
In dieser besonderen Episode des IGEL-Podcasts begrüßt Inklusator Sascha Lang keinen Geringeren als Jürgen Dusel, den Beauftragten der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen, der kürzlich in seine dritte Amtszeit gestartet ist – ein Novum in der Geschichte dieses Amts.
Das Gespräch dreht sich um zentrale Herausforderungen der Inklusionspolitik in Deutschland: die notwendige Reform des Behindertengleichstellungsgesetzes (BGG), das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz, die Finanzierung und Strukturen der Eingliederungshilfe sowie die Reform des Werkstattrechts.
Jürgen Dusel nimmt Stellung zu den politischen Debatten rund um Inklusion und verteidigt den Anspruch auf Teilhabe als Menschenrecht. Auch Themen wie die Deinstitutionalisierung, persönliche Assistenz, der Zugang zum Arbeitsmarkt und die Rolle Europas bei der Förderung von Barrierefreiheit kommen zur Sprache.
Zudem wird ein Blick auf die European Disability Card und den deutschen Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention geworfen – und warum viele Menschen davon nichts wissen. Ein Weckruf für bessere Kommunikation und echte Beteiligung.
Dusel ermutigt: Dranbleiben, vernetzen, nicht entmutigen lassen – denn Demokratie braucht Inklusion!
👉 Mehr Informationen über die Arbeit des Bundesbehindertenbeauftragten unter: www.behindertenbeauftragter.de
Links zum IGEL Podcast
Podcast „IGEL – Inklusion Ganz Einfach Leben“
 
 
Socialmedia:


Transkript

Speaker1
00:00:02
Ich bin völlig blind. Manchmal habe ich das Gefühl, meine Tage und Nächte sind auf den Kopf gestellt, weil ich Schwierigkeiten habe, nachts zu schlafen und tagsüber wach zu bleiben. Ich leide unter 924, einer seltenen Schlaf-Wach-Rhythmusstörung, die viele völlig blinde Menschen betrifft. Möchtest du mehr über diese Erkrankung in Verbindung mit völliger Erblindung erfahren? Rufe kostenfrei an unter 0800 24 24 008.
Music
00:00:37
Speaker1
00:00:58
Mit eurem Inklusator, Sascha Lang.
Speaker0
00:01:05
IGL Inklusion, ganz einfach leben, dein Podcast für GDB Inklusion. Herzlich willkommen, das ist die 273. Episode und heute sprechen wir mit keinem Geringeren als mit dem Bundesbenanbeauftragten Jürgen Dusel. Seine dritte Amtszeit hat begonnen und wir wollen natürlich von ihm ein bisschen wissen, was so die Zukunftspläne sind, die Herausforderungen und natürlich auch seine Aufgaben in der Zukunft. Mein Name ist Sascha Lang, ich bin dein Inklusator und ich freue mich auf diese Ausgabe mit dir und wünsche gute Unterhaltung.
Music
00:01:32
Speaker0
00:02:06
Igel Inklusion, ganz einfach leben. Der Podcast für gelebte Inklusion. Circa vor einem Monat kam endgültig die Meldung, auf die die Inklusionsszene lange gewartet hat. Nämlich Jürgen Dussel bleibt unser Bundesbindernbeauftragter. Herr Dussel, herzlich willkommen in unserem Igel Podcast.
Speaker1
00:02:24
Ja, herzlichen Dank.
Speaker0
00:02:25
Ja, wie war das für Sie, diese Wartezeit? Das ist ja immer so, was geht da in einem so vor? Man spekuliert, man denkt, man hofft, man weiß. Oder wissen Sie da im Hintergrund mehr als draußen?
Speaker1
00:02:36
Nee, eigentlich nicht, sondern es ist tatsächlich so, das ist eine Zeit, wo man eigentlich ein bisschen demütig sein sollte. Also ich war es auf jeden Fall. Ich habe immer gesagt, also an mir soll es jetzt nicht liegen wegen der dritten Amtszeit. Ich habe gesagt, es gibt noch einige Dinge zu tun und ich betrachte es ja immer als Ehre und als Freude, auch da weiterzumachen. Aber das ist kein Selbstläufer, absolut nicht. Und wenn ich das richtig sehe, seitdem es ein Hauptamt ist, der Beauftragte der Bundesregierung, Seitdem ist es wirklich zum ersten Mal geschehen, dass eine Person drei Amtszeiten dann tatsächlich auch im Amt ist. Und das ist eine große Freude natürlich für mich, weil ich den Job wirklich gerne mache. Natürlich ist das manchmal erfolgreich und manchmal weniger erfolgreich, aber für mich ist es eine Ehre und eine Freude. Und man ist aber auf der anderen Seite, finde ich, gut dann berufen oder steht dann gut zu Gesicht, Wenn man da auch ein bisschen demütig ist, weil es gibt auch andere gute Menschen und auch Menschen mit Kompetenzen, die das machen können. Also ich habe mich gefreut und jetzt gucken wir mal, was wir wuppen können in der Amtszeit.
Speaker0
00:03:37
Ja, das Wuppen ist ja das große Thema. Wir haben ja im Juni auch den einen oder anderen Aufreger schon gehabt, dass der Bundeskanzler an der Eingliederungshilfe schrauben will, dass die einen oder anderen der Meinung sind, dass Inklusion zu teuer wird, dass Inklusion anders gestrickt werden muss. Was geht Ihnen vor, weil Sie sind ja auch direkt unmittelbar und mittelbar mit der Szene in Kontakt. Was kommt da auf Sie zu, wenn solche Aussagen durch die Politik getrieben und weiterverfolgt durch die Medien werden? Was passiert da bei Ihnen?
Speaker1
00:04:04
Also zuerst mal ist es so, dass spätestens nach der Staatenprüfung im letzten Jahr wir doch wissen, dass Deutschland beim Thema Inklusion wirklich nicht klassenbester ist, sondern teilweise sogar versetzungsgefährdet ist. Also wir müssen da besser werden. Zum Zweiten finde ich es überhaupt nicht schlimm, wenn der Bundeskanzler sagt, es kann doch irgendwie nicht sein, dass wir jedes Jahr 10 Prozent höhere Ausgaben in der Eingliederungshilfe haben. Da muss man drauf gucken. Ich finde also diese Aussage an sich nicht schlimm, zu sagen, lass uns doch mal drauf gucken, warum die Eingliederungshilfe Jahr für Jahr wirklich steigt. Mein Punkt ist dann aber zu sagen, dass eben, wenn man sich die Kosten anschaut, dass wir eben nicht an Leistungen kürzen, was die Eingliederungshilfe betrifft. Das hielt ich auch für unangemessen, sondern ich finde, es wäre mal an der Zeit, darüber nachzudenken und zwar auch systematisch, auch gesetzgeberisch nachzudenken, was wir tun können, damit Menschen mit Behinderungen nicht angewiesen sind auf Leistungen der Eingliederungshilfe. Also lassen Sie uns mal diskutieren über das Thema Deinstitutionalisierung. Wie kriegen wir es hin, dass mehr Menschen Teilhabe am Arbeitsleben haben, dass sie ihr Geld verdienen und beispielsweise nicht in Einrichtungen der Eingliederungshilfe, also Stichwort Werkstätten für behinderte Menschen, arbeiten müssen, wo sie wirklich mit einem Stundensatz rausgehen, den man wirklich nicht vermitteln kann. Lassen Sie uns mal darüber nachdenken, wie kann es gelingen, dass Menschen Eben nicht angewiesen sind auf Wohnheime, die übrigens eine Menge Geld kosten, sondern die Chance haben, wirklich ambulant oder teilweise auch im Kiez, also mit Betreuung zu leben, was deutlich günstiger ist und auch dem Thema Schutz vor Gewalt wirklich helfen würde. Also, dass man das mal kreativ nimmt, dass man auch mal sich anguckt, was kostet es eigentlich, wenn Reha-Träger über Monate und teilweise über Jahre ihre Zuständigkeit oder ihre Unzuständigkeit prüfen, Also tatsächlich Menschen von A nach B geschickt werden, dadurch frustriert werden und dann vielleicht die Initiative, die sie haben an einem selbstbestimmten Leben, ihnen wirklich genommen wird. Das würde ich gerne nutzen. Also insofern finde ich es okay, wenn der Bundeskanzler sagt, ist schon merkwürdig, dass die Kosten so steigen. Klar, es gibt auch Gründe dafür. Allgemeine Lohnsteigerungen, die Lebenshaltungskosten steigen, die Menschen mit Behinderung werden immer älter in den Einrichtungen, Gott sei Dank, also vor dem Hintergrund unserer furchtbaren Vergangenheit. Ich würde es gerne nutzen, um wirklich mal darüber nachzudenken und zwar wirklich dann auch konkret zu werden, was wir tun, damit Menschen Chancen haben, eben selbstbestimmt leben zu können und eben nicht angewiesen sind auf Leistungen der Eingliederungshilfe.
Speaker0
00:06:42
Sie haben gesagt, es ist zum ersten Mal, dass ein hauptamtlicher Behindertenbeauftragte seine dritte Amtszeit ansteuern kann. Das heißt, es gibt sehr viele Dossiers, die schon angefangen wurden, die jetzt weitergeführt werden können unter Ihrer Federführung und auch mit Ihrem Know-how, mit Ihrem Wissen. Was sind denn so grob gesagt die wichtigsten Elemente, die Sie jetzt auf dem Tisch liegen haben, wo Sie sagen können, da bauen wir jetzt drauf auf, da machen wir mit großen Schritten weiter. Was sind die großen Aufgaben, die vor Ihnen stehen?
Speaker1
00:07:13
Also nach dem Gesetz ist es ja so, dass es meine Aufgabe ist, darauf hinzuwirken, dass der Bund seine Verantwortung für gleichwertige Lebensverhältnisse zu sorgen, dass er dieser Verantwortung gerecht wird. Das heißt, ich selbst kann keine Gesetze schreiben. Ich würde es ja wahnsinnig gerne tun und auch dann manchmal vielleicht auch Dinge anweisen. Das darf ich nicht. Ich darf auf der anderen Seite aber auch nicht angewiesen werden. Insofern ist für mich der erste Punkt jetzt die Reform des Behindertengleichstellungsgesetzes, das BGG. Also die Frage, verlieren wir mal unsere deutsche Angst und kriegen es wirklich mal auf die Kette, auch private Anbieter von Produkten und Dienstleistungen zumindest zu angemessenen Vorkehrungen, aber besser zur Barrierefreiheit zu verpflichten. Ich glaube, das wird eine ziemlich haarige Geschichte werden, weil ich habe so das Gefühl, dass der politische Gestaltungswille und auch der Mut, den es dazu braucht, Es braucht auch manchmal in der Politik richtig Mut, sich durchzusetzen, dann natürlich auch gegen Lobbyisten und gegen Verbände, Verbände meine ich in dem Falle vielleicht nicht von Menschen mit Behinderungen, sondern eher vielleicht von Unternehmen, Tatsächlich diesen Streit dann auch mal zu führen. Also das wird das Erste sein, was für mich wichtig sein wird, weil ich will schon, dass auch private Anbieter in Deutschland, wie beispielsweise Ärztinnen und Ärzte, zur Barrierefreiheit verpflichtet werden. Ich finde das ein Skandal, dass Menschen mit Behinderungen auch in die gesetzliche Krankenversicherung einzahlen, aber nicht die gleichen Rechte haben, wie Menschen ohne Behinderung beispielsweise ihren Arzt frei zu wählen. Und ich finde, das kann man auch niemandem vermitteln, gerade wenn ich so an die gynäkologische Versorgung von Frauen im Rollstuhl denke. Das ist wirklich nicht hinzunehmen. Und das wird also der erste Punkt sein. Ansonsten, Herr Lang, gibt es ja die Themen, die uns eigentlich schon die ganze Zeit umtreiben. Also die Frage der Deinstitutionalisierung, also wie sieht es aus mit dem Wohnen für Menschen, Menschen auch mit komplexen Beeinträchtigungen, wie ist der Zugang zum Gesundheitssystem insgesamt und insbesondere, kriegen wir es jetzt endlich mal hin, eine Reform des Werkstattrechts auf die Reihe zu kriegen. Also, dass Menschen mit Behinderungen, die in Werkstätten arbeiten, einerseits es einfacher ist, Übergänge zu organisieren auf den allgemeinen Arbeitsmarkt, indem wir die Nachteilsausgleiche, die Menschen eben in Werkstätten bekommen, beispielsweise nach 20 Jahren eine volle Erwerbsminderungsrente zu kriegen, dass sie diese Rechte mitnehmen können auf den allgemeinen Arbeitsmarkt. Also, dass wir es wirklich personenzentrieren. Ich glaube, das wäre wichtig. Und zum Zweiten, wie sieht es mit der Entlohnung aus in Werkstätten? Ist das wirklich okay, Dass Menschen zwar in einer Reha-Einrichtung, das sind ja Werkstätten, arbeiten, aber dann am Ende des Monats mit 180 Euro nach Hause gehen, natürlich noch Grundsicherung kriegen und so weiter, aber das ist ja auch wieder so schwierig, dass da keiner durchsteigt. Also das wäre noch so ein Punkt, der mich in dem Zusammenhang umtreibt. Das Thema Kinder mit Behinderungen, also schwerst mehrfach behinderte Kinder, auch lebensverkürzt erkrankte Kinder. Es gibt also eine Menge zu tun und da sind auch alle Ressorts der Bundesregierung gefordert. Ich arbeite in Luxemburg auf dem Familienministerium,
Speaker0
00:10:16
Das wissen auch meine Zuhörer und da sind wir gerade dabei oder haben wir gerade die Evaluation des Aktionsplans 2.0 vollbracht. Also sie ist jetzt abgeschlossen, wir arbeiten am dritten Aktionsplan und da habe ich mich mal gefragt, ich bin so jetzt seit vier Jahren mit dem Eagle Podcast unterwegs, aber so ein Aktionsplan in Deutschland ist mir noch nie so über den Weg gelaufen. Es gibt aber anscheinend einen. Liege ich da richtig oder können Sie mich da mal aufklären?
Speaker1
00:10:37
Es gibt in der Tat einen nationalen Aktionsplan, der auch fortgeschrieben wurde. Und auch das ist, finde ich, ein gutes Mittel, Dinge nach vorne zu treiben, wenn man es denn ernsthaft betreibt. Also wenn man sozusagen da auch Dinge reinschreibt, die in einer bestimmten Zeit zu erreichen sind und die tatsächlich dann zu Verbesserungen führen. Also man kann solche Aktionspläne auch natürlich ein bisschen schönen, indem man dann so Absichtserklärungen reinschreibt, die man auch nicht abrechnen kann. Aber mir geht es eben darum, in solchen Aktionsplänen möglichst konkrete, also smarte Ziele zu beschreiben. Und auch da hat die Bundesregierung nach der Ratifizierung der UN-BRK eigentlich ganz gut angefangen und dieser Elan ist so ein bisschen, glaube ich, weniger geworden. Also insofern kann da die Bundesregierung deutlich auch besser werden und vielleicht auch wieder dazu kommen, dass dann diese Aktionspläne wieder durchs Kabinett gehen und dort beschlossen werden.
Speaker0
00:11:28
Wie erklären Sie sich denn, dass wenige Menschen, und ich habe wirklich rumgefragt, weil mich das trotzdem irgendwie perturbiert hat, dass da dieser Aktionsplan nicht so auf dem Schirm ist, wie erklären Sie sich denn, dass ganz wenig Menschen in der Behindertenwelt davon wissen, dass es diesen gibt überhaupt und wo überhaupt dem seine Situation ist? Also wer hat den unter sich und wer sollte da mal kommunizieren?
Speaker1
00:11:48
Wundert mich auch, weil auch die Verbände von Menschen mit Behinderung sozusagen regelmäßig beteiligt werden bei der Fortschreibung des nationalen Aktionsplanes. Ich kann es Ihnen nicht sagen. Also es mag ein Kommunikationsthema sein, aber es mag vielleicht auch sein, dass Menschen wirklich so ein bisschen auch den Mut verlieren jetzt in den letzten 20 Jahren. Und das kann ich ja auch nachvollziehen, weil diesen Rückenwind, den wir doch gespürt haben mit der Ratifizierung der UN-BRK und nicht nur in Deutschland, dass dieser Rückenwind einfach weniger wird und dass es jetzt tatsächlich darum geht, dran zu bleiben und auch in diesen Debatten um Ressourcen und Verteilungen von Geld dranbleiben. Also es kann schon sein, dass da so eine gewisse Entmutigung auch stattgefunden hat und auch das ist, finde ich, kein gutes Zeichen, weil es geht ja bei der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention nicht um irgendwelche Almosen oder Freundlichkeiten, sondern es geht um die Gewährung von Menschenrechten und insofern müssen wir da wirklich dranbleiben und das ist auch eine Pflichtaufgabe für jede Bundesregierung.
Speaker0
00:12:46
Aus Ihrer ersten Antwort habe ich herausgehört, dass Sie mit Begeisterung dieses dritte Amt anstreben, dass Sie das gerne weitermachen, dass Sie Spaß daran haben, aber auch Willen daran haben, etwas zu bewegen. Jetzt haben Sie gerade auch in Ihrer letzten Antwort gesagt, dass man feststellt, dass diese Motivation etwas rückgängig ist bei den Menschen mit Behinderung, dass wir immer mehr so eine gewisse, ich nenne das mal so eine Inklusionsdepression, auch bei den Betroffenen haben, zu kämpfen. Was würden Sie diesen Menschen aus Ihrer Sicht gerne mit auf den Weg geben, um wieder Mut zu haben, sich wieder mehr einzusetzen, mehr dabei zu sein, mehr zu kämpfen?
Speaker1
00:13:26
Also zum einen glaube ich, sich nicht nur zu fokussieren auf die Dinge, die nicht geklappt haben. Also das geht ja relativ schnell, dass man da nur noch im Blick hat, was haben wir jetzt nicht gerade geschafft, sondern wirklich auch das wertzuschätzen, was wir geschafft haben in den letzten 20 Jahren. Und da muss man konstatieren, da haben wir schon eine Menge geschafft. Also das ist so und das ist auch meine Motivation. Zweitens zu wissen, wir können jetzt nicht wie Harry Potter oder andere den Zauberstab rausholen und quasi zaubern bei dem Thema Inklusion, weil einfach die Interessen auch der Gesellschaft sehr unterschiedlich sind und das spiegelt sich ja dann auch in der Politik wieder. Also es gibt halt Menschen, die haben immer noch nicht verstanden, dass gemeinsames Lernen wirklich ein wichtiger Schlüssel ist, auch zur Inklusion oder die haben auch nicht verstanden, dass Barrierefreiheit eigentlich ein Qualitätsstandard für ein modernes Land ist. Also wir können das nicht zaubern, sondern das ist ein Aushandlungsprozess, das ist ein mühsamer teilweise, wirklich mühsamer Diskussionsprozess. Aber darin sehe ich meine Aufgabe. Ich sehe meine Aufgabe, zusammen mit meinem Team wirklich diese Prozesse zu führen und sich nicht klein machen zu lassen. Auch von starken Organisationen, die sagen, wenn ihr jetzt noch die privaten Unternehmen verpflichtet zur Barrierefreiheit, dann ist hier Untergang des Abendlandes. Also sich davon nicht schrägen zu lassen, sondern zu sagen, in welchem Land wollen wir eigentlich leben? Wir wollen doch in einem Land leben, wo alle gleich wert sind, wo keiner mehr wert ist als der andere und wo alle möglichst die gleichen Chancen haben. Und dazu gehört eben auch, dass man teilhaben kann, dass man Zugang hat zum Arbeitsmarkt, dass man Zugang hat zur Schule, dass man Zugang hat zur Mobilität, also Stichwort Deutsche Bahn. Dass man Zugang hat eben auch zur Freizeit. Daran zu bleiben und dafür zu kämpfen, dafür braucht es einen langen Atem. Und ich würde den Menschen einfach mitgeben, sich nicht entmutigen zu lassen, an sich zu glauben und sich zu vernetzen und weiterzumachen. Das lernt man auch in anderen Civil-Rights-Bewegungen und ich sehe eben auch die Behindertenbewegung als Form der Civil-Rights-Bewegung, dass das dauert, dass das mühsam ist, aber dass es sich wirklich lohnt, dafür zu kämpfen.
Speaker0
00:15:41
Es hat sich jetzt eine Genossenschaft gegründet, um das Arbeitgebermodell voranzutreiben, deutschlandweit auf Bundesebene zu hören. Wir hören in Berlin Probleme bei der persönlichen Assistenz, bei der Arbeitgeberschaft, dass da die Finanzierung nicht steht. Also wir hören rechts und links immer wieder ganz viele, ganz viele Punkte, wo man, wo auch Sachen geklärt waren, wo man denkt, das war jetzt alles gut. Wie sehen Sie denn solche Initiative wie zum Beispiel die Genossenschaft, die sich jetzt da gründet, um zu sagen, wir wollen deutschlandweit einheitlich endlich mal eine Regelung haben, wie das Arbeitgebermodell für Menschen, die persönlichen Assistenzbedarf haben, wie das funktioniert und nicht diese willkürliche Landesregelungen. Berlin macht so, München macht so und Rheinland-Pfalz macht noch anders und Nordrhein-Westfalen noch anders.
Speaker1
00:16:22
Wie sehen Sie das? Finde ich genau richtig, finde ich ganz genau richtig, dass die Initiative von den Menschen mit Behinderungen kommen und das kann man ja auch nebenbei dem UN-Fachausschuss überhaupt nicht vermitteln, warum in Deutschland die Landschaft so heterogen, so unterschiedlich ist. Und wenn ich mir anschaue, wie beispielsweise Erfassungsbögen auch für Menschen, die beispielsweise Unterstützung brauchen im Rahmen der Assistenz, also teilweise davon abhängen, in welchem Landkreis sie leben. Und dass teilweise in Ländern, also Bundesländern, in denen die Eingliederungshilfe kommunalisiert ist, es eben einen Riesenunterschied macht, ob sie an dem einen Ort leben oder an dem anderen Ort leben. Aber sie haben genau den gleichen Bedarf. Das kann man wirklich niemandem vermitteln. Deswegen finde ich das auch gut. Und auf der anderen Seite will ich immer wieder sagen, dass es wichtig ist, natürlich auf das Thema Eingliederungshilfe zu gucken. Das macht man ja auch sehr schnell. Aber auch nicht zu vergessen, dass eben mehr als 90 Prozent der Menschen mit Behinderungen keine Leistungen der Eingliederungshilfe kriegen, weil sie beispielsweise halt einen Job auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt haben oder irgendwie anders klarkommen. Und die nicht zu vergessen, es ist wirklich die Mehrheit. Also nicht die Eingliederungshilfe deswegen vergessen, auf keinen Fall. Also ich werde sicherlich in dieser Legislatur mir besonders die Personengruppe von Menschen mit komplexen Behinderungen noch mal genauer anschauen. Aber einfach auch zu wissen, es gibt eben auch eine Menge Menschen, die mit dem Thema Eingliederungshilfe nichts zu tun haben, obwohl sie eine schwere Behinderung haben und trotzdem auch eine Unterstützung brauchen. Also wenn es um Teilhabe am Arbeitsleben geht, wenn es um das Thema Mobilität geht, das ist mir wichtig. Dass wir die Zahlen im Blick haben, dass es in Deutschland 13 Millionen Menschen gibt, dass nur drei Prozent von denen mit der Behinderung geboren werden und 95 Prozent ihre Behinderung nach der Schule kriegen. Also wir schon auf die Schule gucken müssen, aber dafür die anderen Themenfelder, Arbeit, Freizeit, Gesundheit, Bildung, also Bildung meine ich lebenslanges Lernen, nicht vergessen. Das ist mir wichtig, weil ich merke in der Politik, dass alle oder sehr viele politisch Verantwortliche bei Menschen mit Behinderungen meistens sofort an die EGH, also an die Eingliederungshilfe denken. Also nach dem Motto, die leben alle im Heim, die arbeiten alle in der Werkstatt und das ist ja nun grundfalsch. Sondern dass man eben die Heterogenität der Gruppe im Blick hat.
Speaker0
00:18:37
Was sind Ihre allerersten Schritte, die Sie jetzt angehen werden müssen? Jetzt kommt natürlich die Sommerpause, aber trotzdem, die Politik dreht weiter und die Inklusion muss weiter gestärkt werden. Was sind jetzt die nächsten direkten Schritte, die wir vom Bundesbehindertenbeauftragten erwarten dürfen?
Speaker1
00:18:52
Naja, also die Sommerpause ist für mich jetzt nicht ehrlich gesagt, weil zurzeit das BGG, man hat es ja gestern in der Presse leisten können, also in die Ressortabstimmung geht. Das wird uns ziemlich viel Kraft kosten und da wollen wir auch tatsächlich dabei sein. Ich möchte gerne was zum Thema Arbeitsmarkt für Menschen mit Behinderung machen, also Teilhabe am Arbeitsleben. Und ansonsten ist ja die Bundesregierung sehr schnell gestartet, also auch mit einem 100-Tage-Programm. Das heißt, das Thema Gesundheit, Hilfsmittelversorgung, das wird uns alle noch umtreiben. Also insofern haben wir genug zu tun und ich denke aber, zurzeit wird unser Fokus wirklich aufs Behindertengleichstellungsgesetz gerichtet sein, weil da möchte ich, dass das tatsächlich substanziell was geschieht. Ich kann das ja nicht verordnen, das habe ich ja gesagt, aber ich kann dafür eintreten und dafür arbeiten, dass es dann auch politische Mehrheiten gibt, damit tatsächlich auch dann das Gesetz den Namen verdient, der da draufsteht, nämlich Gleichstellung.
Speaker0
00:19:50
Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz ist jetzt so circa drei Wochen, vier Wochen, bis die Ausstrahlung des Podcasts ist vier Wochen aktiv. Inwiefern hilft das auch beim BGG?
Speaker1
00:20:01
Naja, da muss man erstmal wieder sagen, Lob Europa. Ich bin ja ein überzeugter Europäer, nicht nur, weil sie jetzt in Luxemburg sitzen, sondern weil ich glaube, dass es ganz viele Entscheidungen auf der europäischen Ebene gibt, die uns richtig helfen. Und das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz, also insbesondere der European Accessibility Act, ist ja nun ein europäisches Recht. Und ich würde mal behaupten, dass wenn es diese Vorgabe aus Europa nicht gegeben hätte, dass dann auch Deutschland nicht so weit wäre. Insofern, Lob Europa! Und ich glaube, das kann uns schon helfen beim BGG, dass man einfach sieht, es gibt andere Strukturen, die sind offensichtlich ein bisschen mutiger als das, was ich teilweise erlebe. Dieses Recht gilt ja überall in Europa, also in den baltischen Staaten ganz genauso wie auch in Italien. Und ich habe nicht den Eindruck, dass da sozusagen der Untergang des Abendlandes droht. Also insofern kann uns das unterstützen. Aber man muss natürlich auch sagen, dass die Umsetzung in Deutschland, also gerade was jetzt die Marktüberwachung betrifft, ein bisschen schleppend ist. Also da sind wir wirklich angehalten, wirklich besser zu werden. Und auch das Thema Schlichtungsverfahren, also die Schlichtungsstelle bei mir, auch noch nicht die personellen Voraussetzungen hat. Also da ist sozusagen der Vollzug noch ein Problem. Bleiben wir noch
Speaker0
00:21:18
Für die letzte Frage. in Europa, die Disability-Card soll kommen, man soll in Deutschland in Europa weit reisen können oder sein können und man hat einen Behindertenausweis, der überall gleich ist, wobei man trotzdem nur auf die Rechte zugreifen kann, die in dem Land gelten, in dem man dann ist. Deutschland war bei der Pilotphase nicht dabei, ich glaube Luxemburg auch nicht, aber trotzdem wird die jetzt eingeführt, auch das wieder dank Europa. Wie stehen Sie dieser European Disability-Card da? Ich glaube im März 27 ist es soweit, dann bis dahin muss das umgesetzt werden. Wie sieht es in Deutschland aus?
Speaker1
00:21:51
Ja, das hat auch mit dem Parkausweis zu tun und das finde ich ziemlich in Ordnung. Also ich war auch dabei, als die quasi dann in Brüssel bekannt gegeben wurde und hatte so den Eindruck, dass es eine Menge Verbände von Menschen mit Behinderung in Europa gibt, die das wirklich gefeiert haben. Im Gegensatz glaube ich eher zu den deutschen Verbänden, die da eher so ein bisschen zurückhaltend waren. Also alles, was sozusagen international, finde ich, dazu führt, dass Menschen mobiler werden und sich mehr austauschen können, finde ich grundsätzlich in Ordnung. Es muss uns aber auch klar sein, das kann auch nur der allererste Schritt sein. Also ist klar, das Parken und auch dann die Nachteilsausgleiche zu kriegen, ist schon ganz gut. Aber gerade wenn ich jetzt beispielsweise wieder an die Teilhabe am Arbeitsleben denke, also jemand beispielsweise aus Frankreich möchte gerne in Deutschland arbeiten oder jemand aus Deutschland möchte gerne in Luxemburg oder in Belgien arbeiten und dann die Frage, kriege ich da meine Arbeitsassistenz und wer gewährt mir das? Da haben wir noch eine Menge zu tun. Es wird aber notwendig sein, dass wir auch international da stärker zusammenarbeiten. Das hat einfach damit zu tun, dass die Menschenrechte insgesamt ja ziemlich stark unter Druck stehen. Und ich will ja nur die Stichworte Diversity, Inclusion und Equality nennen. Das heißt, wir müssen eine Antwort finden sozusagen auf dieses Rückfahren von Menschenrechten. Und diese Antwort können wir nur international, also multilateral, insbesondere europäisch finden. Insofern ist es mir wichtig, Dass wir auch mal darüber diskutieren, ob es nicht notwendig wäre, auf europäischer Ebene, also auf Kommissionsebene, auch eine Person zu etablieren, die eine Art von Behindertenbeauftragter oder zumindest eine Form dieses Mechanismus beinhaltet. Die Beauftragten der Europäischen Union, ich hatte mal vor ein paar Jahren zum ersten European Inclusion Summit eingeladen, das ist auch sehr unterschiedlich, wie die angesiedelt sind, haben dazu eine Resolution verfasst und eben so eine Person gefordert. Also auch auf europäischer Ebene ist noch eine Menge zu tun und Europa ist halt eine Wertegemeinschaft. Und das bedeutet konkret eben auch, dass der Wert Inklusion bei Europa immer wieder mitgedacht werden muss.
Speaker0
00:23:57
Herr Jürgen Dussel vom Eagle Podcast wünschen wir Ihnen für die nächste Zeit ein gutes Händchen, viel Erfolg und danke, dass Sie sich die Zeit nehmen, den Einsatz zu liefern und immer wieder auf die Sachen hinzuweisen. Und vielen Dank für dieses Interview.
Speaker1
00:24:08
Ja, ich danke Ihnen und ich will es einfach nochmal sagen, dieses Motto Demokratie braucht Inklusion ist auch weiterhin mein Motto, weil Demokratie und Inklusion untrennbar zusammengehören und das gilt glaube ich nicht nur für Deutschland, sondern das gilt insbesondere auch im europäischen Raum.
Speaker0
00:24:24
Das war also der Bundesbehindertenbeauftragte Jürgen Dusel, der seine dritte Amtszeit nun angetreten hat. Und wir sind gespannt auf das, was er in dieser Amtszeit alles bewegen kann. Wir drücken ihm dafür natürlich ganz fest die Daumen. Das war die IGL-Ausgabe 273. Mein Name ist Sascha Lang. Bis demnächst. Ciao, ciao. Bye, bye. Das war der Podcast IGL-Inklusion ganz einfach leben mit eurem Inklusator Sascha Lang.
Music
00:24:50
Speaker1
00:24:57
Igel. Inklusion. Ganz einfach leben. Wird dir präsentiert von Inklusator. Infos zum Inklusator und weitere Folgen findest du unter www.igelmedia.com Du möchtest uns kontaktieren? dann schreibe uns eine Mail an moin.eaglemedia.com.
Music
00:25:25